Du bist gereizt, gestresst und unruhig? Dann beruhige dein Nervensystem mit Atemübungen und bring es wieder in Balance. Wie das genau funktioniert, liest du hier.
In der deutschen Sprache gibt es viele treffende Redewendungen. Wenn du dich sehr gestresst fühlst, schnell gereizt bist oder viel zu stark und unangemessen reagierst, dann „liegen deine Nerven blank.“
Denn der Ursprung für dein Verhalten und dein Wohlbefinden liegt wirklich in deinen Nerven. Genauer gesagt in deinem autonomen Nervensystem. Und die Lösung auch.
In diesem Artikel erfährst du:
Warum und wie dir bewusstes Atmen helfen kann, deine Nerven zu beruhigen und zu stärken.
Alle Grundlagen zum Nervensystem, damit du dich selbst besser verstehst und alles in der Hand hast, um gut für dich zu sorgen.
Inhaltsverzeichnis:
Was löst Stress im Nervensystem aus?
Prinzipiell alles, was unbekannt oder unerwartet für dich ist. Das können eine Millionen Dinge sein in deinem Leben.
Dein autonomes Nervensystem hat die Aufgabe, dein Überleben zu sichern.
Deshalb prüft es jede neue Situation, ob sie sicher ist, oder nicht. Alles was neu ist, ist potenziell gefährlich. Wenn dein Gehirn nicht sofort Entwarnung gibt, wird dein Körper in Alarmbereitschaft versetzt. Du wirst darauf vorbereitet, zu fliehen oder wenn nötig zu kämpfen.
Dazu wird der Sympathikus aktiviert. Er steuert die Prozesse in deinem Körper so, dass deine Energie zur Flucht oder zum Kampf bereitsteht. Genaueres dazu später.
Diese autonome Reaktion kann sehr sinnvoll sein. Wenn früher ein Säbelzahntiger vor uns stand, war es wichtig, nicht groß nachzudenken und die Situation zu analysieren, sondern die Beine in die Hand zu nehmen und zu fliehen.
Wenn wir in Sicherheit waren, setze automatisch die Entspannungsreaktion ein. Der Parasympathikus wurde aktiviert.
Wenn heute eine herausfordernde Arbeit auf deinem Schreibtisch landet, hilft dir Flucht oder Kampf nicht weiter. In deinem Körper passiert aber das Gleiche wie früher. Und genau hier entsteht das Problem.
Ohne Bewegung, werden die Prozesse im Körper nicht reguliert und auch die Entspannung setzt bei vielen Menschen nicht mehr automatisch ein.
Deshalb ist es gut zu wissen, wie du dich selbst dabei unterstützen kannst, zu entspannen.
Was hilft um das Nervensystem zu beruhigen?
Die einfachste und effektivste Methode, um dein Nervensystem zu regulieren und deinen Körper und Geist zu beruhigen, ist: Bewusstes Atmen. Atemübungen, auf neudeutsch Breathwork, sind unglaublich wirkungsvoll.
Dein Atem ist direkt mit deinem autonomen Nervensystem verbunden.
Du kannst deinen Atem nutzen, wie eine Fernbedienung für den Fernseher. Wenn du das Programm von „gestresst“ auf „entspannt“ ändern möchtest, mach einfach eine entsprechende Atemübung. Schon nach ein paar Minuten spürst du die Wirkung.
Andersrum funktioniert das natürlich auch. Wenn du müde bist, erspare deinem Körper noch mehr Koffein. Nutze lieber eine Atemtechnik.
Damit du die Zusammenhänge verstehst, lass uns einen Exkurs in dein autonomes Nervensystem machen.
Das autonome Nervensystem
Es hat aus evolutionärer Sicht nur eine Aufgabe: Es soll dein Überleben sichern.
Es besteht aus zwei Teilen:
Sympathikus – aktiviert uns, ist bei Stress aktiv
Parasympathikus – sorgt für Entspannung und Regeneration
Sympathikus und Parasympathikus sind zwei perfekte Gegenpole.
Sie halten dein Nervensystem in Balance – wenn du sie lässt. Leider wird durch unsere heutige Lebensweise diese Balance oft gestört. Man spricht dann von einem dysregulierten Nervensystem.
Nach neueren Erkenntnissen (der Polyvagal Theorie von Stephen Porges) ist der Parasympathikus in zwei Teile aufgeteilt, die unterschiedliche Aufgaben haben.
Den hinteren (dorsalen) Vagusnerv-Ast, der für einen Shutdown verantwortlich ist.
Den vorderen (ventralen) Vagusnerv-Ast, der für Kontakt und Kommunikation zuständig ist.
Mit dieser Dreiteilung des Nervensystems lassen sich viele Dinge sehr gut erklären. Deshalb arbeite ich damit, auch wenn die Polyvagal Theorie in manchen Kreisen kritisch betrachtet wird (das will ich hier nicht unerwähnt lassen.)
Diese drei Teile stehen in einer Hierarchie zueinander. Das liegt daran, wann sie in der Evolution entstanden sind. Der älteste Teil, der hintere Vagus, steht zuletzt oder zuunterst, der jüngste Teil, der vordere Vagus, steht in der Hierarchie ganz oben:
1. Vorderer Vagusnerv-Ast des Parasympathikus
2. Sympathikus
3. Hinterer Vagusnerv-Ast des Parasympathikus
Da komme ich später drauf zurück, wenn es um die Reihenfolge der Übungen geht. Doch zunächst zu den Grundlagen.
Aufgabe von Sympathikus und Parasympathikus
Der Sympathikus stellt sicher, dass wir kämpfen oder fliehen können.
Früher war das sinnvoll und hat uns oft gerettet. Heute ist er meist überaktiv, da er durch jede Form von Stress aktiviert wird. Nicht nur, wenn unser Leben in Gefahr ist.
Der Parasympathikus ist aktiv, damit wir uns nach der Aktivierung wieder entspannen können.
So kann der Körper sich regenerieren und neue Kräfte sammeln. Leider funktioniert das bei vielen Menschen nicht mehr automatisch.
In dieser Grafik siehst du, was körperlich passiert, je nachdem, ob die Energie für Bewegung vorbereitet wird (Sympathikus) oder für Entspannung und Regeneration (Parasympathikus)
Quellenangabe "Schweizer Paraplegiker-Stiftung"
So sind auch viele Stressfolge-Reaktionen deines Körpers zu erklären. Ganz offensichtlich sind Verdauungsprobleme. Wenn der Sympathikus aktiv ist, wenn du im Stress bist, wird deine Verdauung runtergeregelt. Manchmal wird auch noch schnell alles entleert, um besser rennen zu können.
Parasympathikus und Vagusnerv
Der Vagusnerv wird auch Entspannungsnerv genannt.
Er ist Teil des Parasympathikus und der längste der 12 Hirnnerven. Er ist an den Funktionen von fast allen Organen beteiligt. Der vordere Vagus-Ast verläuft durch die Organe im Brustkorb und oberen Bauchraum, inklusive dem Zwerchfell. Der hintere verläuft durch die Organe im unteren Bauchraum.
Die Wirkungsweise auf den Körper ist sehr unterschiedlich, je nachdem, ob der hintere oder der vordere Teil des Vagusnervs aktiv ist.
Ist der hintere zu aktiv, sind wir antriebslos und träge. Wir können sogar in einer Depression landen. Das wollen wir nicht.
Ist der vordere Vagusnerv-Ast aktiv, so sind wir entspannt, offen und kommunikativ. Bereit für die schönen Seiten des Lebens. Genau das wollen wir!
Gezielte Atemübungen, bei denen du die Bauch-Zwerchfellatmung nutzt, aktivieren den vorderen Vagusnerv.
Denn er läuft unter anderem genau durch das Zwerchfell (auf schlau: innerviert das Zwerchfell). Kombiniert mit Körperübungen, kann die Bauch-/Zwerchfellatmung deshalb wahre Wunder bewirken.
Bewegung kommt vor Entspannung – Shake it Baby
Vielleicht erinnerst du dich an die Hierarchie, die ich weiter oben angesprochen habe? Hier kommt jetzt die praktische Umsetzung des Wissens.
Wenn du dich total erschöpft fühlst, vielleicht auch niedergeschlagen oder sehr träge, dann ist wahrscheinlich dein hinterer Vagus zu aktiv.
Um aus der Erschöpfung rauszukommen, hilft es dir nicht, dich noch mehr auszuruhen.
Auch Meditation ist dann oft sehr schwierig und nicht so wirkungsvoll.
Was du jetzt brauchst, ist Bewegung.
So wird dein Sympathikus sanft aktiviert. Dabei werden im Körper angesammelte Stresshormone abgebaut und der Weg in die Entspannung und ein allgemeines Wohlgefühl wird viel leichter.
Du kannst spazieren gehen oder Sport machen, was immer gut ist, um Stress entgegenzuwirken. Wenn du keine Zeit hast, mache diese Übung: Schütteln!
Schüttle deinen ganzen Körper für 2 Minuten sanft oder gern auch kräftig durch. Oder stell dir Musik an und tanze auf ein Lied so richtig ab. Egal wie es aussieht, dein Körper wird es dir danken.
Ich mache es mehrmals täglich, um direkt dafür zu sorgen, dass Stresshormone abgebaut werden.
Wenn du dich bewegt hast, ist es viel einfacher und angenehmer, Atemübungen zu machen.
Oder auch zu meditieren. Nach diesem Schema, habe ich ein kompaktes 7-Minuten Anti-Stress-Programm für zwischendurch entwickelt. Es enthält auch ein Video mit einer Anleitung zu einer Atemübung. Probiere es am besten direkt aus.
Lass uns noch kurz anschauen, was passiert, wenn du im Dauerstressmodus bleibst.
Was passiert beim Burn-out?
Ein (drohender) Burn-out ist ein Sonderfall aus Sicht des Nervensystems. Hier sind zwei Dinge gleichzeitig aktiv: Sympathikus und hinterer Vagus.
Das ist so, als würdest du beim Autofahren die Handbremse gezogen haben und gleichzeitig kräftig aufs Gas treten.
Du kommst fast nicht in Bewegung, aber es kostet unglaublich viel Kraft.
Bevor du in einen Burn-out rutschst, befindest du dich im Hussel-Modus. Du machst und tust, ohne Pause, alles ist Zuviel und trotzdem machst du immer weiter. Da ist der Sympathikus mächtig aktiv.
Dein Körper ist schon lange Zeit vollgepumpt mit Stresshormonen. Zeit zur Regeneration hat er nicht, da meist auch der Schlaf gestört ist. Du bist körperlich und vielleicht auch mental sehr erschöpft. Dein Körper zeigt es dir durch den aktiven hinteren Vagus.
Du übergehst alle Alarmsignale und machst weiter. Bis der hintere Vagus siegt. Shut down, nix geht mehr.
Du befindest dich im Burn-out, da du dich buchstäblich ausgebrannt hast. Dein Tank ist leer und braucht jetzt ganz viel Pflege, damit du wieder auf die Beine kommst.
Welche Warnsignale dir dein Körper bei einem zu aktiven Sympathikus und Stress gibt, liest du hier.
Welche Atemübungen helfen gegen Stress und als Burn-out Profilaxe?
Hier helfen alle ausgleichenden und beruhigenden Atemtechniken, kombiniert mit der gesunden Bauch-/Zwerchfellatmung.
Es gibt eine sehr große Auswahl an Atemübungen. Such dir die Übungen raus, die du gern machst und die dir leichtfallen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass du sie auch tatsächlich machst.
Wenn du einige Stressmerkmale wahrnimmst, ist es wichtig, dass du dir eine regelmäßige Atempraxis aufbaust.
Einmal pro Woche oder ab und zu ein paar Minuten bewusst atmest, reichen dann nicht aus, um dein Nervensystem wieder in Balance zu bringen.
Es ist völlig in Ordnung, mit 2 Minuten pro Tag anzufangen. Wenn du merkst, dass es dir guttut, wirst du es automatisch verlängern wollen.
In diesem Artikel findest du einige Inspirationen und eine Übung, mit der du direkt starten kannst: „Richtig Atmen: Wie das geht und wie du die richtige Atemübung für dich findest.“
Deine drei wichtigsten Take Aways
1. Durch bewusstes Atmen kannst du dein Nervensystem wieder in Balance bringen.
2. Bewegung hilft deinem Körper Stresshormone abzubauen. Deshalb solltest du dich immer erst bewegen, bevor du deine tägliche Atempraxis machst.
3. Wenn du bereits starke körperliche Stresssymptome spürst, hilfst du dir am besten, wenn du eine tägliche Atempraxis etablierst. Fang mit 2 Minuten an und einer Übung, die dir Spaß macht.
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Gib Stress keine Chance!
Quellen:
Patrick McKeown, 2021, "Atme und heile dich selbst"
Stuart Sandeman, 2022, "Breathe In Breathe Out"
James Nestor, 2020, "Breath - Atem"
Ausbildungsinhalte "Holistic Breath Collective" Atem-Coaching Ausbildung
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